An einem Freitag Abend im Juni fragte mich meine 20-jährige Tochter, ob man etwas gemeinsam unternehmen könne. Allerdings war das arme Ding erbärmlich erkältet, schnupfte und hustete wie eine Weltmeisterin und von daher verboten sich irgendwelche Unternehmungen die mit Anstrengungen oder mit Gesellschaft verbunden waren von selbst. Kurz zuvor hatte sie (um Kontakt mit weit entfernt lebenden Cousinen zu halten) einen Minecraft-Server gemietet- für 4 Euro monatlich. Und nun beschlossen wir, einen Familienabend dort zu verbringen- ein jeder an seinem PC in seiner Wohnung und nur vertreten durch einen pixeligen Minecraft-Avatar.
Man verabredete den ungefähren Zeitpunkt per Threema (der Schweizer Alternative zu WhatsApp) und traf sich dann eine Viertelstunde später in dem kleinen Minecraft-Dorf, wo jeder von uns bereits ein bescheidenes oder auch (im Falle meines Liebsten) ein protziges Anwesen besaß. Per eingebautem Chat verständigten wir uns zu viert auf einen Plan: Wir wollten gemeinsam den vor der Küste befindlichen Unterwasser-Tempel raiden. Doch ach, was es dazu alles brauchte: Tränke für Unterwasseratmung beispielsweise. Wie man die herstellte, wusste meine 17-Jährige: Mit einem Braustand. Dazu brauchte es jedoch eine Lohenrute- erbeutet von besiegten Lohen. Diese lebten im unterirdischen Nether, zu dem man nur durch spezielle Portale gelangen konnte. Eins davon hatte jedoch dankenswerterweise meine vielspielende 17-Jährige bereits im Keller ihres pittoresken Fachwerkhäuschens installiert. Sie riet uns auch, nur mit Eisen gerüstet und mit Schwertern bewaffnet in den gefährlichen Nether zu gehen. Sofort setzte ein fröhliches Handeln und Tauschen, ein Schmieden und Anprobieren ein, bis jedes Familienmitglied gut gerüstet und bewaffnet war.
Wir betraten den Nether und staunten über rot glühende Lavaseen und gefährlich hohe Netherfelsen. Die 17-Jährige suchte nach der von ihr entdeckten Netherfestung, fand sie aber nicht wieder. „Das geht nur fliegend“, erklärte sie uns und schaltete flugs in den „Kreativ-Modus“, in dem sowas und auch alles andere kinderleicht geht. Heftiger Protest der Familie! Wir wollten nicht die Weichei-Version, wir wollten keine „Cheater“ sein! Also wurde sich zu Fuß durch Berge gebuddelt (ein Lava-Opfer), es wurden riesig lange Brücken über Lavaseen gezogen (ein Lava-Opfer, lustigerweise dasselbe wie vorhin) und nach ein paar Mal Verlaufen waren wir da, eroberten die Festung, besiegten die Lohen, erbeuteten jeder eine Lohenrute und noch einmal gab es ein Lava-Opfer, was es uns jedoch ermöglichte, uns zum Opfer und damit ins sichere Zuhause zu teleportieren.
Nun konnten wir Braustände erbauen, um dort Tränke herzustellen. Für den Unterwassertrank wurden Kugelfische benötigt, die erst noch zu angeln waren. Eins der Kinder verteilte Angeln an alle und so standen wir im Mondlicht um den Dorfteich herum und angelten Stiefel, Seerosen und gelegentlich auch Kugelfische und unterhielten uns dabei per Chat über die Abenteuer im Nether, über Referate fürs Studium und über diverse Zimmer-Umbau-Pläne. Es war spät geworden, die Kranken und Gesunden mussten ins Bett und der Plan, den Unterwassertempel zu raiden, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.
Es war ein schöner Abend mit der Familie und absolut virensicher, da die schnupfende 20-Jährige eine eigene Wohnung bewohnt. Die 17-Jährige konnte alles zeigen, was sie drauf hat (das ist für das „Küken“ der Familie nicht immer so einfach) und wir Eltern haben uns einmal mehr als Gesellschaft für einen coolen und lustigen Abend qualifiziert.*
*= Das funktioniert mit vielen Dingen: Lasertag spielen, Escape-Rooms besuchen oder einen Live-Stream der gamescom schauen, aber auch Essen gehen oder Häkeln vor dem Fernseher gelten als Aktivitäten, die man gern mit seinen Eltern macht, sofern diese „cool“ sind. Und das sind wir halt 😉