Level up! durch Algebra

Wer Bildschirmspiele spielt, weiß, wie unglaublich motivierend Spiele heutzutage gestaltet sind. Man mag kaum aufhören, will die nächste Herausforderung meistern, das nächste Level erreichen, Belohnungen einsacken, das Rätsel knacken oder den Gegner besiegen. Fast jede Anstrengung wird belohnt, jeder Spieler erlebt etliche Erfolge und die virtuellen Lorbeerkränze erzeugen manch neidvollen Blick der Mitspieler. Und dabei haben die Game-Designer immer im Blick, dass es nie zu einfach werden darf. Niemand möchte ein Spiel, in dem Hinz und Kunz ohne Kenntnisse und Fähigkeiten Belohnungen nach geworfen kriegen (na ja, bis auf die Farmville- oder Candy Crush-Fans*).

Schon lange denke ich mir (als passionierte World-of-Warcraft-Spielerin), dass man solche Motivationsmechanismen in der Schule oder Kinder- und Jugendarbeit einsetzen sollte. Und siehe da!- seit mehreren Jahren tut das einer. In Österreich, dem medientechnisch etwas innovativeren Nachbarland vergibt Christian Haschek als Lehrer sogenannte XP.  Das sind in jedem Game die Erfahrungspunkte, die es für das Abschließen von Quests (Aufgaben), das Entdecken von Gegenden, das Besiegen von Gegnern uvm. gibt. Lehrer Haschek vergibt die Punkte für Referate, Schulaufgaben, Wortmeldungen im Unterricht.  Das Besondere: Er trägt die Punkte für jeden Schüler sofort in eine online abrufbare Tabelle ein, wo der „Erfahrungsbalken“ der Schüler stetig wächst. Wenn der Balken voll ist, steigen die Schüler eine Note auf. Beginnen tun sie mit Note Fünf und arbeiten sich langsam hoch. Es gibt nur ein Aufwärts- gewonnene Erfahrung verliert man schließlich nicht. Und auch jene, die bereits die Bestnote erreicht haben, strengen sich immer noch an, obwohl sie nichts verlieren können. Aber sie haben Anstrengung und den Gewinn von Wissen als positiv erlebt und machen daher weiter.

Auch die amerikanische Spieleentwicklerin Jane McGonigal beschreibt in ihrem Buch „Besser als die Wirklichkeit“ eine Schule, an der sie Mechanismen aus Computerspielen sehr erfolgreich eingeführt hat: Zu Schuljahresbeginn sollen die Schüler innerhalb der Klasse herausfinden, wer wo am meisten Talent hat: Algebra, Geometrie, Schnellrechnen?
Dann bekommen die Schülerinnen und Schüler gemäß ihren Talenten Aufgaben, die sie lösen müssen, um „Ressourcen“ für den Kampf gegen den Endboss  zu sammeln. Und sie müssen üben, damit sie beim Bosskampf ihren Teil beitragen können. Gewinnen oder verlieren kann nur die ganze Klasse. Die Klassen gewinnen immer- denn diese Positiv-Orientierung ist zusammen mit den spielerischen Elementen für Kinder und Jugendliche extrem motivierend.

Als ich das erste iPad kaufte und die App „Geomaster“ installierte, fing meine sonst nicht übermäßig lernbegeisterte, damals 13-Jährige an, Länder und Hauptstädte zu lernen durch das Spielen des Spiels. Und die nächste Ex wurde eine glatte Eins (zufällig waren Hauptstädte das Thema).

Ich kann natürlich den Chor der (Schul-)geister hören, die alle rufen: „Das Leben ist kein Spiel!“ oder „Was sollen Lehrer denn noch alles machen?“ oder auch „Früher war alles besser. Da kannten die Kinder noch Disziplin!“.
Christian Haschek hat vor allem Erfolg bei den bislang schlechteren Schülern. Die guten Schüler bleiben gut, egal wie schlecht der Unterricht ist. Und genau da werden die Probleme des Bildungssystems auch verortet: Bei den schlechten Schülern, bei den Abbrechern. Nahezu 20 % der Schülerinnen und Schüler verlassen die Mittelschule ohne Abschluss.

Was also ist das Geheimnis der Spielelemente in Lerninstitutionen?

1. Der Lernerfolg ist sichtbar
2. Feste Punktwerte für verschiedene Aufgaben machen Lernerfolg planbar
3. Erreichte Erfolge gehen nicht verloren – sie sind sicher
4. Gute Noten werden durch Arbeit erreichbar

Jeder Versuch, weniger bildungsverlorene Generationen zu produzieren, ist es wert. Ohne Schulabschluss und Bildung, ohne Motivation und Glauben an sich selbst ist das Leben nämlich überhaupt kein Spiel mehr.

 

*=Beide Spiele werden eher aus meditativen Gründen gespielt und haben die Schwierigkeitsstufe des beliebten Etiketten-abfitzeln-und-daraus-Papierkügelchen-drehen.

 

 

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